Motivation+Aktion: 10 — BIRGITTA JÓNSDÓTTIR: WE THE PEOPLE ARE THE SYSTEM
Birgitta Jónsdóttir, eine isländische Politikerin, die für die dort ansässige Piratenpartei im Parlament sitzt, teilt ihre Überlegungen zur Zukunft unserer Demokratie und unseres Systems.
»Das 21. Jahrhundert wird das Jahrhundert der gewöhnlichen Leute, dein Jahrhundert und mein Jahrhundert — unser Jahrhundert. Bemerkenswerte Umbrüche geschehen. Wir haben die Bibliothek von Alexandria am kleinen Finger; die ganze Welt und all ihr Wissen ist digital und wandert ins Internet. Während wir in ein neues Zeitalter der elektronischen Gewebe und Beziehungen marschieren sind unsere demokratischen Muster hohl geworden und bröckeln in schauriger Geschwindigkeit.
Die Politik, die Medien, das Geldsystem, die Bildung, die Konzerne und überhaupt alle bekannten Gefüge entfernen sich von den wankenden alten Denkschulen. JETZT gibt es die Gelegenheiten um uns an allen Fronten durchzusetzen.
Unsere Staaten sind auf morsche Fundamente gebaut, für simplere und ruhigere Zeiten und für kleinere Gesellschaften. Diese Gebilde dienen nicht mehr dem Menschen sondern nur mehr sich selbst.
[...]
Der Wohlfahrtsstaat ist ausgehöhlt und steht am Rande des Zusammenbruchs, mit dem Ziel ihn zu privatisieren. Uns geht der Vorrat an Planet aus. Unsere momentanen Systeme sind hilflos.
[...]
Wir waren noch nie so vernetzt wie heute, so in der Lage in Echtzeit unsere Geschichten mitzuteilen, ob Erfolg oder Misserfolg. Daher ist unsere Lernkurve steiler als jemals zuvor. Wir teilen, wir kopieren, wir mixen und wir sind jeden Tag kreativ miteinander.
Jeden Tag redet man uns ein, dass wir hilflos sind, dass nichts diese Systeme verändern kann, ich aber sage euch: es ist gelogen.
Ihr habt die Macht ein Katalysator für Fortschritt in unserer Welt zu sein. Es waren immer Individuen, die die Welt verändert haben, nie eine externe Macht — im Guten wie im Bösen. Wollt ihr, dass Fremde die Macht in eurem Leben sind oder wollt ihr die Verantwortung für diese Macht übernehmen? Um zum Teil einer gemeinsam schöpferischen Gesellschaft zu [werden]?
[...]
Was im Moment unmöglich scheint, kann schon morgen sehr gut möglich sein, denn wir erleben an allen Fronten sehr rasche Veränderungen. Daher ermuntere ich euch alle, einen Plan für die Konstruktion der Zukunft zu zeichnen, in der ihr leben wollt. Findet den Funken, der die Revolution in euren Herzen beginnt.
Habt ihr jemals darüber nachgedacht woher das Wort ›Revolution‹ herkommt? Ich mag dieses Wort sehr, denn es bedeutet ›Veränderung‹, eine Entwicklung mit Liebe. Wie awesome ist das? Warum fürchtet ihr euch vor Veränderung, warum fürchten wir alle uns so sehr davor? In der Natur ändert sich ständig alles, aber dennoch tun wir alles, was in unserer Macht steht, um die Zeit anzhalten. Warum fürchtet ihr euch? Warum fürchten wir uns?
Vielleicht liegt es daran, dass wir alles so kompliziert und grandios gemacht haben. Vielleicht ist es Zeit sich auf das Einfache zu besinnen, für das Nachhaltige und Genügsame. Wir können das erreichen indem wir voneinander lernen, indem wir einander helfen – lokal und global – und indem wir uns daran erinnern, dass wir als Individuen die Welt verändern können. Es ist Zeit nach vorne zu schreiten, Zeit, diese Herausforderung anzunehmen und selbst zum Veränderer zu werden. Wartet nicht, dass andere kommen, denn jetzt ist eure Zeit gekommen. Um etwas zu bewirken!
[...]
Ich lernte schnell mich auf meine Intuition als Dichterin zu verlassen, denn das ist für mich sinnvoller als die Rivalität und die Manipulationen der rechten und linken Ideologien. Die Frage der richtigen und falschen Ideologie ist einfach nicht mehr zeitgemäß. Wir brauchen keine starken Parlamente mehr, die zwischen der Öffentlichkeit und den Entscheidern vermitteln — vielleicht haben wir sie nie gebraucht. Wir haben so genannte ›Profi-Politiker‹, die allerdings der Realität weit entrückt sind, in der die meisten von uns leben.
Die meisten Leute haben erkannt, dass links und rechts in der Politik keine nützliche Rolle mehr spielen. Ideologie ist überholt. Um politische Bewegungen in Gang zu setzen, die auf der Grundlage einer gemeinsamen Agenda der dringenden Anliegen ruht, Anliegen der Grundrechte des Menschen und Anliegen der demokratischen Reform, die jetzt so wichtig geworden sind.
Um den gewöhnlichen Leuten wie uns eine Gesellschaft für uns zu schaffen, müssen wir alle die demokratischen Mittel haben. Die Menschen müssen in die Parlamente um die Gesetze zu ändern, auf dass wir alle die Macht haben, die uns gesetzlich zusteht. Um auf unsere Gesellschaft Einfluss zu nehmen. Um wirklichen Druck auf jene auszuüben, die für uns, in unserem Namen die Macht ausüben, nicht für die Elite.
[...]
Beim Blick auf die verschiedenen Modelle zur Humanisierung und Modernisierung der Gesellschaft bin ich zum Schluss gekommen, dass es momentan kein Modell gibt, dass für alles passt, und dass es ein solches auch nie geben wird. Wir brauchen Experimente und Ermittlungen darüber, was funktioniert, und wofür und für welche Kultur.
Solche Experimente zur Demokratie gibt es bereits, und einige sind erstaunlich in der gelebten Praxis rund um die Welt. Neue Formen der Bürgerbeteiligung entstehen gerade und fordern die Politik und fördern die direkte Mitbestimmung. Dazu gehört das Liquid Feedback der Piratenpartei, dazu gehört D-Cent, dazu gehört Your Priorities, dazu gehört DemocracyOS, dazu gehört WeGov.
Technik versetzt uns in die Lage, direkt Macht auszuüben, und die Technik wird jetzt einfach genug um den Bürgern den Start in die Meinungsbildung und politische Veränderung von unten zu geben. Eine der bedeutendsten Aufgaben ist die Hilfestellung für die Leute, damit ihnen bewusst wird, dass sie Teil der Demokratie sein müssen, wenn sie echte Demokratie wollen. Dass es Arbeit ist in einer Demokratie zu leben.
Wichtig ist auch, dass die Menschen eine Debatte unter ihren Freunden und Familien anfangen; darüber welche Sorte Zukunft sie wollen. Wenn wir, die Bürger der Erde, keine klare Vorstellung davon haben wo es hingehen soll, werden wir wohl nirgends hingehen. Die 1% haben einen genauen Plan wo es hingehen soll, und nichts anderes ist es was sie uns Gewöhnlichen voraus haben.
Einige der tollsten Neuerungen und Schöpfungen in der Geschichte der Menschheit haben unter extremen Belastungen begonnen, wie etwa der New Deal. Als menschliche Wesen haben wir ein Stadium erreicht in dem wir die nächste Ebene betreten müssen, wenn wir eine tragfähige Welt für die nächste Generation haben wollen. Bitte sprecht darüber wie eure Zukunft aussehen soll, bildet Vorstellungen, teilt diese Vorstellungen mit, beginnt bei der Person, die neben euch sitzt«.
Impulsfragen:
»Wir waren noch nie so vernetzt wie heute, so in der Lage in Echtzeit unsere Geschichten mitzuteilen, ob Erfolg oder Misserfolg. Daher ist unsere Lernkurve steiler als jemals zuvor. Wir teilen, wir kopieren, wir mixen und wir sind jeden Tag kreativ miteinander«. Was bedeutet die Möglichkeit in Echtzeit Geschichten zu teilen für die Politik? Wie kann denn »real-time-democracy« heute schon aussehen? Wie können wir bereits heute demokratische Prozesse mit fortschrittlichen Kommunikationsmitteln verbessern, um ihre Effizienz zu vergrößern?
Motivation+Aktion ist die Bachelor-Arbeit von Michael Schmitz. In der Arbeit wird versucht Möglichkeiten der politischen Bedeutung des Designs auf theoretischer und praktischer Ebene zu erläutern und aufzuzeigen.