Motivation+Aktion: 09 — DER DIGITALE TRAUM VOM HERRSCHAFTSFREIEN DISKURS
»Die großen Medienhäuser und Zeitungsverlage stecken in einer Glaubwürdigkeitskrise. Doch Online-Medien sind nicht die bessere Alternative, sondern Teil der Krise.
In einer Demokratie sind vier Kriterien für die Bewertung eines Informationsmediums von Relevanz: Erstens die Qualität der Information, zweitens ob die Möglichkeit der freien Meinungsbildung und drittens eine demokratische Öffentlichkeit als Form der vielzitierten ›Vierten Gewalt‹ gewährleistet sind. Viertens sollten journalistische Medien in einer Demokratie nicht alleine Missstände aufzählen, sondern idealerweise auch die Ihnen zugrunde liegenden Herrschaftsstrukturen aufdecken.
Nun war und ist die Gretchenfrage der Digitalisierung, ob neue Formen medialer Kommunikation wie Social Networks, politische Internetforen und Blogs die oben genannten Kriterien besser würden erfüllen können als die in die Kritik geratenen etablierten Medien – sind sie in der Lage, die Medienlandschaft zu vitalisieren.
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Freilich, die Zeiten, in denen mediale Kommunikation meist über das Sender-Empfänger-Prinzip funktionierte, sind längst vorbei. Massenkommunikation ist Kommunikation nicht nur für, sondern auch durch die Masse geworden.
Das alles verführt dazu, den digitalen Raum mitsamt seiner vermeintlich geschützten Diskussionsforen zum Motor sämtlicher gesellschaftlicher Veränderungen, einem Perpetuum mobile uneingeschränkter Dynamik, zu verklären oder eine ›sich selbst erfüllende Demokratisierung‹ zu prognostizieren. Mancher meint gar in den und durch das Internet angestoßenen politischen Bewegungen die »größte Freiheitsbewegung unserer Zeit« erkennen zu können.
Spätestens hier paart sich Wunschdenken mit einer Erwartungshaltung, die trotz aller Veränderungsprozesse aus verschiedenen Gründen bisher bestenfalls bedingt eingetreten ist. Denn im virtuellen Raum haben sich Strukturen verfestigt, die denen der analogen Welt ähneln: Auch digitale Beziehungsnetze tendieren zu Homogenität bezüglich Herkunft, sozialem Status und Berufspositionen. Ohnehin löst das Potential, Korrektiv im medialen Meinungsbildungsprozess sein zu können, noch längst nicht das strukturelle Problem der Massenmanipulation durch die weiterhin alles dominierenden Massenmedien. Die revolutionäre Ausweitung der medialen Kommunikationsmöglichkeiten ändert erst einmal nichts an den Realitäten politischer Kommunikation: mediale Filterung mittels Verkürzung, Emotionalisierung und Personalisierung.
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Nicht zuletzt durch solche Entwicklungen wird der Wert der Informationsvielfalt mehr als relativiert. Hier stellt sich zwangsläufig die Frage, was passiert, wenn Information und Wissen einem privaten Monopol wie der Suchmaschine von Google unterliegen?
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Im Zuge dieser im Internet mit exponentieller Geschwindigkeit verlaufenden Entwicklungen hat sich Kruses These von der Machtverschiebung des Anbieters zum Nachfrager in ihr Gegenteil verkehrt. Das einstmals mehr oder weniger freie Netz entwickelt sich zunehmend zu geschlossenen Systemen der jeweiligen Oligopole, die den Informationsfluss und damit auch das Informationsangebot kontrollieren. Die theoretisch gegebene Informationsvielfalt wird de facto zu einer Informationsselektion und Manipulation, die der vielbeschworenen Netzneutralität zuwider läuft.
Genese der Kommunikation
Parallel zu der Tendenz einer Quasi-Monopolisierung findet auf der Subebene der Kommunikation eine beunruhigende Exklusion und Fragmentierung von Information statt. Denn die Informationsakkumulation geht mit einer Informationsfilterung einher. Standort, Suchhistorie und Klickverhalten werden zu den entscheidenden Kriterien, um dem Nutzer nur Informationen anzuzeigen, die mit seinen bisherigen Ansichten übereinstimmen. Diese immer umfassenderen Möglichkeiten der Zielgruppenspezifizierung durch die personalisierten Suchergebnisse von Google oder den News-Stream von Facebook führen im Extrem zu sogenannten ›Filter-Bubbles‹, die dazu tendieren, solche Informationen auszuschließen, die den Ansichten des Nutzers widersprechen.
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Der herrschaftsfreie Raum in Bedrängnis
Auch die politische Blogosphäre und entsprechende Internetforen werden von solchen Dynamiken erfasst. Die Blogosphäre, eine schrumpfende Mikro-Öffentlichkeit, wird durch die funktionale Konkurrenz der Social Networks, wohin ein Großteil des Outputs von Bloggern fließt, bedroht.
Zudem wird das Internet zur politischen Teilhabe und Quelle der Information, insbesondere die Nutzung von Foren und Blogs, nur von denen genutzt, die ohnehin politisch gebildet und aktiv sind. Da Blogs eine marginale Rolle spielen, können sie auch keine echte Alternative, sondern lediglich eine Ergänzung im Meinungsbildungsprozess darstellen.
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Politische Kommunikation bleibt von der Quantität eher eine Randnutzung, der herrschaftsfreie Diskurs im Sinne Habermas‘ auch hier eine Illusion.
Was bleibt?
Was bleibt, ist Ernüchterung. Wurde zu Zeiten des Web 1.0 und darüber hinaus noch über die mannigfaltigen Demokratisierungseffekte und Partizipationsmöglichkeiten in einem herrschaftsfreien Raum philosophiert, ist das Charakteristikum des Web 2.0 die Ausdünnung der Blogosphäre und die Verwandlung des Internets in vermachtete und kontrollierte Räume weniger (vor allem nordamerikanischer) Anbieter. Das erhoffte Zeitalter der »Media-Demokratisierung« wird durch neue und auch zunehmend genutzte Möglichkeiten der Überwachung und Manipulation (siehe Wikipedia) durch Konzerne, Geheimdienste oder auch Think-Tanks in Frage gestellt. Die Vielfalt der Informationen relativiert sich durch die Aushebelung der Netzneutralität.
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Was bleibt, ist schlussendlich die Vermutung, dass langfristig nur die Auflösung und Entflechtung der digitalen Oligopole durch die Politik die Voraussetzung dafür sein kann, (Infra-)Strukturen durch diverse Anbieter zu schaffen, die als essentielle Grundlage der demokratischen digitalen Öffentlichkeit und Medienkultur dienen können. Doch vielleicht war das nie gewollt und das technische Artefakt Internet ist nur Spiegel des politisch-sozialen Systems«.
Impulsfragen:
»Ohnehin löst das Potential, korrektiv im medialen Meinungsbildungsprozess sein zu können, noch längst nicht das strukturelle Problem der Massenmanipulation durch die weiterhin alles dominierenden Massenmedien. Die revolutionäre Ausweitung der medialen Kommunikationsmöglichkeiten ändert erst einmal nichts an den Realitäten politischer Kommunikation: mediale Filterung mittels Verkürzung, Emotionalisierung und Personalisierung«. Können wir im Internet überhaupt »politisch kommunizieren«? Ist eine hierarchiefreie Kommunikation im Internet so umsetzbar?
Motivation+Aktion ist die Bachelor-Arbeit von Michael Schmitz. In der Arbeit wird versucht Möglichkeiten der politischen Bedeutung des Designs auf theoretischer und praktischer Ebene zu erläutern und aufzuzeigen.